Anmerkungen der Regisseurin
Die Angst vor Fremden ist eines der dominierenden Themen der Zeit. Gerade in der Schweiz wurde damit in den letzten Jahren oft politische Kampagne betrieben. Mich interessierte zunehmend das Phänomen des Feindbildes, das offenbar ein Teil der Gesellschaft braucht um selber vorbildlich funktionieren zu können. Egal in welchen Kulturkreis, in welches Land man schaut, überall brauchen Menschen Katalysatoren auf welche sie ihre Ängste, Unzufriedenheit und Schwierigkeiten projizieren können. Manchmal mündet solch diffuse Ablehnung in dumpfer, unreflektierter, rechter Gewalt.
Mich beschäftigte die Frage, aus welcher inneren Not ein Jugendlicher beginnt den „Fremden“ zu hassen. Mich interessierte vor allem sein Innenleben, das Drama der Kindheit.
„Silberwald“ ist vor allem ein Film über einen Suchenden. Über ein Kind im Niemandsland. Im Zentrum steht ein gänzlich unpolitischer und orientierungsloser Antiheld auf der Suche nach Liebe, Anerkennung und sich selbst. Durch seine Taten und Provokationen gibt er verzweifelte Hilfeschreie von sich, die jedoch lange Zeit niemand hört.
Die Natur
Die Natur und der Wald spielen eine wichtige Rolle in Silberwald. Die Weite der Landschaft, die Rauheit und Kälte der winterlichen Natur sind Metaphern für eine Gesellschaft, die brutal sein kann, ausgrenzt und einzelne ablehnt.
Der Wald mit seinen unzähligen Bäumen, Abzweigen und Weggabelungen, steht im übertragenen Sinne für das Leben mit all seinen Möglichkeiten und Verführungen. Sascha steht einsam und ausgegrenzt inmitten dieses Waldes. Für ihn offenbart das warme, anheimelnde Licht, das aus der Hütte der Rechtsextremen kommt, weniger etwas Böses, als ein anzustrebendes Ziel inmitten der Dunkelheit und Verzweiflung seines momentanen Lebens. Wie in der Philosophie taucht hier das Böse nicht nur in Gestalt des Teufels, des Gegners, der Menschen in Versuchung führt auf, sondern eben auch als «Luzifer», der Lichtbringer.
Form
Für mich sind Reduktion, Klarheit und Nüchternheit zentrale gestalterische Elemente. Authentizität und die Suche danach steht für mich über allem. Ich habe großen Respekt vor der Wirklichkeit und verabscheue Kitsch und durch filmische Mittel herbeigeführte Sentimentalität.
Recherche
Um das Buch dicht an Umgangsformen, Werten und Erwartungen von 15-16jährigen Knaben entwickeln zu können, habe ich im Vorfeld in verschiedenen Realschulen im Emmental recherchiert.
Ich gab den Jugendlichen Fragebögen zu den Themen Alltag, Vorstellung von Glück, Zukunft, Ängste und Sehnsüchte. Im Anschluss führte ich mit knapp 80 Jugendlichen Einzelgespräche. Dabei vertiefte ich interessante Punkte aus dem Fragebogen und machte mir allmählich ein Bild davon, wie ein Jugendlicher in einem abgelegenen Dorf aufwächst. In den Gesprächen interessierten mich nicht nur ihre Sehnsüchte und Ängste – die wahrscheinlich ziemlich ähnlich denen der Jugendlichen aus der Stadt sind – sondern ich versuchte ihre Haltung zu Gewalt, Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus zu erforschen und hinterfragen.
Es war frappierend, wie viele der Befragten latentes, fremdenfeindliches Gedankengut besitzen. Dies übernahmen sie zum Teil unkritisch von ihren Eltern und Grosseltern, aber auch von aktuellen politischen Hetzkampagnen, die dazu beitrugen, ihre Meinungen zu verfestigen. Sehr irritierend dabei war, dass die wenigsten der Kinder jemals persönlichen Kontakt mit einem Ausländer hatten.
Casting von jugendlichen Laiendarstellern
Die Suche nach passenden Laiendarstellern fand über einen längeren Zeitraum in den Gymnasien in Bern, Burgdorf und Thun, sowie den Rudolf Steiner Schulen in Ittigen und Bern und Jugendtheatern in und um Bern statt. Wir haben insgesamt über 200 junge Berner gecastet und daraus die drei Hauptfiguren sorgsam ausgewählt. Saladin Dellers (Sascha), Naftali Wyler (Patrick) und Basil Medici (Moni) sind Jugendliche, die bereits durch ihr Äußeres, ihre Mimik eine Geschichte erzählen, die sowohl kindlich, zerbrechlich und schwach, wie auch gefährlich, kalt und unberechenbar wirken und agieren können.
Vorbereitungszeit / Dreh
Um die Jugendlichen behutsam an das Agieren vor der Kamera zu gewöhnen und um ein Vertrauen zwischen ihnen und uns herzustellen, haben wir eine Probewoche im Emmental zusammen mit unserem Kameramann Michael Leuthner und dem Schauspielcoach Michael Neuenschwander veranstaltet. In dieser Vorbereitungszeit und auch während der Dreharbeiten habe ich mit den Jugendlichen äußerst wenig über die Geschichte, ihre Filmcharaktere und deren Psyche gesprochen.
Meine Sorge war, dass sie dann versuchen würden eine Rolle zu spielen und nicht mehr sie selbst und nicht mehr authentisch wären. Um eine Echtheit in ihrem Spiel vor der Kamera zu erlangen, habe ich viel von ihrem eigenen Charakter in ihre Filmrolle einfließen lassen. Keiner der Jugendlichen durfte das Drehbuch oder Auszüge davon lesen. Ich wollte sie am Set unbefangen und unwissend, einfach so wie sie sind und habe sie dann in den Szenen entsprechend mit den jeweiligen Situationen und Aufgaben konfrontiert.
Christine Repond